Wer du bist ist, worum es beim Biken wirklich geht

Who you are is actually what biking is about

 

Freiheit” und “Abenteuer” sind die typischen Antworten, die man von Bikern bekommt, wenn man sie fragt, warum sie Motorrad fahren. Und das ist auch bei mir so, aber da ist noch mehr, viel mehr. Und dieses „mehr“ definiert, wie gut, wie sicher du fährst und wie sehr du es schätzt. All diese Punkte kannst du aktiv verbessern.

Lesezeit: 8 Minuten

 
Wer du bist
ist worum es beim Biken eigentlich geht.
Freiheit und Abenteuer sind Unterkategorien.

Was bedeutet das?

Es gibt Biker die eine Persönlichkeit haben die immer sicher, entspannt und kontrolliert ist, und die gleichzeitig auf dem Bike und allgemein im Leben große Dinge erreichen. Ich persönlich erfülle vielleicht einige, aber sicher nicht alle dieser Kriterien in vollem Umfang (work in progress und ürigens: Ich finde es schwer, der Welt zu dokumentieren, dass ich tatsächlich nicht perfekt bin … meine Frau wird diese Aussage von mir wahrscheinlich einrahmen und über unser Bett hängen … der schlechteste Ort überhaupt, um das aufzuhängen).

Wer ich bin, beeinflusst, wie ich mich fühle, was sich dann natürlich auf meinen Fahrstil niederschlägt. Kurz gefasst:

Wer ich bin = wie ich mich fühle = wie ich fahre

Zu 99% der Zeit auf dem Motorrad fühle ich mich sicher, zuversichtlich, unter Kontrolle, fast schon in Meditation und ich genieße die Fahrt vollkommen. Nennen wir das den 99% Wohlfühlmodus. Aber es gibt auch diesen lästigen 1%-Modus, etwa wenn ich einen schlechten Tag habe oder was auch immer. Dann bin ich nicht einmal in der Nähe eines der positiven Adjektive aus den vorherigen Sätzen.

Wenn ich einen schlechten Tag habe, wenn ich angespannt bin, oder wenn ich meinen Fahrstil von anderen beeinflussen lasse, wenn negative Emotionen mir die Freude verderben, dann stellen sich Freiheit, Abenteuer und all die anderen guten Emotionen nicht ein. Nur wenn ich zu 99% im Wohlfühlmodus bin kann ich es voll genießen. Deshalb kommt „wer ich bin“ vor „Abenteuer“ und „Freiheit“. Für mich selbst habe ich einen Weg gefunden, in diesen 99%-Wohlfühl-Modus zu gelangen und dort zu bleiben. Es ist eine Mentalität, etwas, das du beeinflussen und kontrollieren kannst. Lies weiter…

Früher während einer der Spitzenzeiten meines Motorradfahrerlebens, als ich zwischen 18 und 30 Jahre alt war, gab es für mich eine Menge Bike-Emotionen. Ich bin mit verschiedenen Gruppen parallel gefahren. Eine der Gruppen waren meine Jugendfreunde und wir bereisten gemeinsam Teile Europas auf unseren Motorrädern. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich darüber schreibe, so eine tolle Erfahrung war das für mich.

Eine andere Gruppe war mehr auf der sportlichen Seite des Fahrens und ich bin froh, berichten zu können, dass ich diese Zeitspanne überlebt habe. Um dir eine Vorstellung zu geben: Zu dieser Zeit fuhr ich oft mit meiner BMW R75/5 mit Trommelbremsen vorne und hinten. Leicht bergab, idealerweise mit etwas Rückenwind, etwas Optimismus und gut synchronisierten Vergasern, konnte man 50 PS interpretieren. Wenn man den Motor vor einer Kurve so weit hochdreht, wie es die Ohren zulassen, hat sich das Motorrad durch die Kräfte des Kardans hinten ein wenig angehoben.

Dieser etwas höhere hintere Teil des Motorrads hat dann ein paar Grad mehr in Kurven zugelassen, so dass das unvermeidliche Kratzen der Ventildeckel in den meisten Kurven … nun ja, ein paar Grad später eingetreten ist. Gleichzeitig versucht man zu erahnen, wohin der wackelnde Rahmen einen in der nächsten Kurve driften lässt (es ist ja schließlich eine „Gummi Kuh“) und das einzig Gute an den Trommelbremsen war, dass man sowieso Trail-braking anwenden musste um das Motorrad auf die passende Geschwindigkeit vor und auch während der Kurve runter zu bringen.

Hier muss ich einen speziellen „Ich liebe BMW“ Absatz hinzufügen. Ich habe eine große Zuneigung zu meinen BMWs und BMWs im Allgemeinen und muss ganz offen sagen, dass sie fantastisch zu fahren sind. Wenn man weiß, wie man sie fahren muss, kann man erstaunliche Dinge mit einer BMW machen. Ihr Vorteil ist, dass ihr Verhalten ziemlich vorhersehbar ist. Sie haben mich in 30 Jahren nur ein einziges Mal im Stich gelassen (wahrscheinlich sowieso mein Fehler) und jedes Mal, wenn ich heute eine sehe, geht mein Herzschlag hoch. Diese Aussage gilt für BMWs zwischen 1970 und 1985 die ich selbst sehr intensiv gefahren bin. Die heutigen BMWs sind hervorragende Motorräder, aber ich bevorzuge den Stil meiner Triumph Tiger 1200 XRT. Ich bin eventuell offen für eine Diskussion, ob die BMW GS einen Hauch besser zu fahren ist. (Hinweis an BWM- und Triumph-Besitzer: Bitte diskutiert die vorherigen Aussagen in euren jeweiligen Foren weiter)

Zurück zur Geschichte: wir fuhren damals öfters nach Frankreich, da wir nahe der Grenze gewohnt haben. Das Ganze, um Einheimische auf ihren asiatischen Superbikes auf kleinen kurvigen Bergstraßen mit viel Verkehr herauszufordern. Sowohl bergauf als auch bergab! Was sich heute seltsam anhört, war damals ein normaler Wochenende-Tag. Wir mussten einen Weg finden, die fehlende Motorleistung und den massiven Mangel an Bremskraft unserer hauptsächlich 50-70 PS starken Bikes gegenüber den 100+ PS starken Superbikes auszugleichen. Bergauf nutzten wir die Vorteile unseres – wie wir dachten – überlegenen Fahrstils. Bergab setzten wir das ein, was ich damals für Mut hielt. Heute benutze ich ein anderes Wort dafür. Wir hatten auch den Vorteil von agilen Motorrädern. Hauptsächlich wegen der schmaleren Reifen, die, wie du sicher weißt, viele Dinge in Kurven ermöglichen, die man mit einem 180+ mm Superbike-Reifen nicht so einfach machen kann wenn man die Kurven nicht im Superbike-Drift Stil nimmt. Dinge wie Bremsen, während man schon in der Kurve ist, die man gerade zu schnell genommen hat (so viel zum Thema Mut) und das einfache Ändern des Winkels ohne große Auswirkungen auf die Flugbahn hinterließen einen bleibenden Eindruck bei unseren lokalen Konkurrenten.

Mit einer 40 Jahre alten BMW und ein bisschen Erfahrung kann man recht flott durch eine Kurve fahren. Heute kann ich mit ein wenig Stolz berichten, dass wir auf der sportlichen Seite in dieser Zeit einige sehr gute Ergebnisse erzielt haben. Ich konnte jedoch in dieser etwas längeren Periode meines Lebens nicht wirklich erklären, wie ich es jedes Mal in einem Stück nach Hause geschafft habe. Das hat mich dazu gebracht, nicht mehr so zu fahren (oh … meine Frau liest das später…).

Meine BMW R75/5 von 1975 (links) in Aktion in den Schweizer Alpen im Jahr 2003 mit einer BMW GS 800 von 1987

Wenn ich heute das Motorrad nehme, um zur nächsten Post zu fahren, fühle ich mich wie eine Mischung aus Steve McQueen, Schwarzenegger und Ironman in einer Person. Jedes Mal. Das wegen all der positiven Emotionen und Erwartungen, die für mich damit verbunden sind. Ich bin auch jedes Mal noch ein wenig nervös, wenn ich starte und losfahre. Ich bin über Jahrzehnte ein paar hunderttausend Kilometer auf vielen verschiedenen Bikes durch verschiedene Länder gefahren. Aber dieses Gefühl habe ich immer noch jedes Mal. Es liegt daran, dass ich so happy bin, diese Maschine nehmen zu können und frei zu sein. Gleichzeitig denke ich auch die ganze Zeit an meine Familie. Keine Herausforderungen mehr (es kann vielleicht noch sehr selten vorkommt, wenn ich den perfekten 100%-Tag habe), kein nach Hause kommen und versuchen zu verstehen, wie ich es geschafft habe.

Wie bleibe ich also im 99%-Wohlfühl-Modus?

Wenn du dir diesen Film ansiehst, verstehst du vielleicht besser, wie das bei mir abläuft: Jedes Mal, wenn ich fahre, mache ich eine Retrospektive der positiven Erfahrungen der Vergangenheit. Diese Basis gibt mir Ideen dann die Zukunft zu visualisieren, welche Art von Erfahrung ich während der heutigen Fahrt erleben möchte.

Im Grunde genommen visualisiere ich die Fahrt, bevor ich fahre. D.h ich stelle mir gezielt vor wir ich Kurven durchfahre, wir ich Landschaften erlebe, ob ich schnell oder langsam unterwegs sein möchte, etc.

Das bis zu einem Punkt, an dem ich mich so etwas wie ein Grundgefühl für die bevorstehende Tour entwickle. Ich weiss dann wie ich mich während der Fahrt fühlen möchte. Dieses (positive) Grundgefühl ist worauf ich alles visualisieren reduziere. Es ist einfach das Gefühl, wenn man sich wohl fühlt. Hört sich vielleicht komisch an, ist aber ganz einfach.
Dann fahre ich los. Dann höre ich auf, viel darüber nachzudenken und checke nur von Zeit zu Zeit, wenn es die Straße zulässt, wie es mir mit diesem Gefühl geht, aber ohne zu werten: ist es da, wie ich es mir vorgestellt habe: gut! Ist es nicht da wir gedacht: gut!

Das hört sich nach gar nichts speziellem an, ist aber eine gute Methode über kurze Zeit sich besser vorzubereiten und einzuschätzen. Sich besser kennenzulernen und zu beeinflussen können.

Selbst während einer längeren Fahrt mache ich also nur 2 oder 3 kurze Checks, um zu sehen, wie ich mich fühle und wie ich mich fühlen möchte. Wenn sie gleich sind, mache ich mir eine mentale Notiz, wenn nicht, mache ich mir ebenfalls eine mentale Notiz. Das ist alles während des Fahrens. Eine solche Vorbereitung hilft mir, die Straße zu respektieren, zentriert mich auf mich selbst und meine Werte und steigert massiv die Freude an der Fahrt. Für mich ist eine gute Tour wie eine Meditation und ein Coaching in einem. Für mich ist diese Übung vor jeder Fahrt eine Gewohnheit geworden und es dauert nur ein paar Sekunden, wenn man einmal die Routine hat. Keine große Investition für die potenzielle Wirkung.

Allerdings mache ich solche Visualisierungen schon seit meiner Kindheit (eine andere Geschichte – an einem anderen Tag) und auch nach vielen Bieren (darüber wird es keine Geschichte geben …). Ich mache das automatisch und sehr schnell, wie im Film. Wenn du damit erst anfängst, musst du das Tempo drosseln und dir anfangs etwas mehr Zeit nehmen.

 

Wenn ich mir bewusst bin, wer ich bin, weiß ich, warum ich Motorrad fahre.
Das beeinflusst, wie ich fahre.
Das ist meine Lebensversicherung.

 

Zwei Szenen aus dem Film

In Teil 2 dieses Blogs gibt es ich eine einfache, kurze Übung, die ich vor jeder Fahrt mache.

Was bedeutet Motorradfahren für dich?

Wie kommst du in deinen 99% Wohlfühlmodus?

Bitte unten kommentieren und je nach Gefallen bewerten und teilen.

Vielen Dank!

Markus


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